Ist es noch möglich, angesichts der Gefahren, die den Planeten bedrohen, optimistisch zu sein? Das fragt Philosoph Thomas Metzinger, der an der Uni Mainz lehrt. Er gilt weltweit als einer der profiliertesten Philosophen der Geistes- und Kognitionswissenschaften. 2018 wurde er für die hochrangige Expertengruppe für Künstliche Intelligenz der Europäischen Kommission nominiert. In seinem neuen Buch fordert er einen anderen Umgang mit der Welt und dem Ich. Buchhändler und Psychologe Felix Ter-Nedden diskutiert mit ihm zu diesem Thema.
Wie bewahrt man seine Selbstachtung in einer historischen Epoche, in der die Menschheit ihre Würde verliert?
Wir brauchen ein neues Leitbild für die planetare Krise. Das alte, durch Gier, Neid und Dominanzstreben angetriebene Modell des kontinuierlichen Wirtschaftswachstums führt uns in eine globale Katastrophe. Der offensichtlichste Grund (von vielen) ist die enge Korrelation zwischen Wachstum und Kohlendioxidemissionen.
Wir müssen uns ehrlich machen!
Realistisch betrachtet sind unsere Möglichkeiten bereits jetzt auf Schadensbegrenzung und intelligentes Krisenmanagement beschränkt. Intellektuelle Redlichkeit, Mitgefühl und eine bestimmte Form von innerer Bewusstheit sind das, was wir für mentale und politische Resilienz dringend brauchen. Der Begriff einer „Bewusstseinskultur“ bildet den Ausgangspunkt für eine neue Debatte.
Für mehr Mitgefühl und radikale Selbstachtung
Mehr als dreißig Jahre lang haben wir sehenden Auges versagt. Neben unserem Mangel an Selbstachtung und dem fehlenden Mitgefühl für künftige Generationen war eine der Hauptursachen für die sich anbahnende planetare Krise ein Mangel an kultureller Kreativität: Wir waren nicht in der Lage, die alten Werte hinter uns zu lassen und alternative Leitbilder zu schaffen.
Genau das ist aber dringend erforderlich, um einen neuen kulturellen Kontext für den Ausstieg aus dem Wachstumsmodell zu schaffen. Wir brauchen eine Bewusstseinskultur, die sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene funktioniert. Wege dahin zeigt dieses Buch.
Wir brauchen eine radikale neue Bewusstseinskultur
„Viele von uns haben wenig Mitgefühl und keine Achtung vor den Personen und leidensfähigen Wesen, die nach uns auf diesem Planeten leben werden. Das führt dazu, dass wir bald auch uns selbst nicht mehr als rationale Personen ernst nehmen können, weil wir über Jahrzehnte vorsätzlich empirische Tatsachen ignoriert und auf politischer Ebene unsere eigene Selbsttäuschung organisiert haben. Die Klimakatastrophe wird deshalb auch dazu führen, dass wir uns zunehmend als scheiternde Spezies erleben und auf eine historisch neue Weise unter dem Verlust unserer Würde leiden. Wir brauchen eine radikale neue Bewusstseinskultur.“ Thomas Metzinger
Thomas Metzinger, geboren 1958 in Frankfurt am Main, lehrte Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er gilt weltweit als einer der profiliertesten Philosophen des Geistes und der Kognitionswissenschaft. Er war Präsident der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft und der Association for the Scientific Study of Consciousness. 2018 wurde er in die Hochrangige Expertengruppe für künstliche Intelligenz der Europäischen Kommission berufen. Sein Bestseller Der Ego-Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik (Berlin Verlag 2009/Piper 2014) wurde in neun Sprachen übersetzt. Metzinger ist einer der meistzitierten deutschen Gegenwartsphilosophen. 2021 erhielt er die Pufendorf-Medaille. 2022 wurde er in die Nationale Akademie der Wissenschaften gewählt.