»Louise Erdrich kam 1954 in einem Indianerreservat in Minnesota als Tochter einer Chippewa-Indianerin zur Welt und zählt heute zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Sie studierte Anthropologie an der John-Hopkins-Universität und arbeitete unter anderem als Kellnerin, Sekretärin und Literaturlehrerin in einem Gefängnis, bevor sie Redakteurin der Zeitschrift »Circle« wurde. Zuletzt wurde die indigene Autorin, die ich von früheren Publikationen sehr schätze, für ihren Roman »Der Nachtwächter« über das außergewöhnliche Leben ihres Großvaters mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Die Spannung zwischen Tradition und Moderne und das Ringen um die eigene Identität sind die dominierenden Themen ihrer Werke. In ihrem neuen Buch »Jahr der Wunder« wird nun die Buchhandlung, Birchbark Books in Minnesota, die sie seit Jahren führt, Schauplatz wundersamer Ereignisse. Worum geht es: Die Ich-Erzählerin Tookie hat einiges hinter sich. Als junge Frau hat sie sich verlocken lassen, die Leiche eines Mannes zu stehlen und den Leichnam als Drogenversteck zu benutzen. Wegen Drogenschmuggels und Störung der Totenruhe wurde sie zu einer sehr hohen Strafe - 60 Jahre Haft - verurteilt. Eine Normalität für eine indigene Frau in den USA.
Das Leben als Buchhändlerin

Nach zehn Jahren wird sie vorzeitig entlassen. Sie beginnt in einer Buchhandlung mit Schwerpunkt indigene Literatur zu arbeiten. Im Gefängnis hat sie beinahe eine Bibliothek ausgelesen und wird nun eine vorzügliche Buchhändlerin. Dann stirbt eine nervige Stammkundin des Ladens: Flora. Und Tooki hat den Eindruck, dass diese sie heimsucht. Zwar versucht Tookie, es zu ignorieren, aber immer wieder liegen Sachen herum, die nur Flora verräumt haben kann. Sie fragt ihre Kollegen und andere Menschen, die ebenfalls zugeben, den Spuk der toten Flora wahrzunehmen. Tookie sucht in etlichen Kulturen der Welt nach einem Gegenzauber, nach einer Möglichkeit, die Geister zu bändigen. Unterdessen toben auf den Straßen politische Proteste gegen eine rassistisch agierende Polizei. Dann bricht die Corona-Pandemie aus.

Bei allem Unglück, die Kraft der Literatur bleibt
Die Buchhandlung boomt, gerade in der Krise. Sie bietet wirksame Hilfe gegen die Folgen von Lockdown, Krankheit und Einsamkeit und der Roman wird mehr zu einer inszenierten Feier der Literatur. Ein hübsches Detail finde ich erwähnenswert: Bei der Inventur im Laden finden die Buchhändlerinnen sogenannte Kuckucksbücher. Bücher, die von Leuten in die Regale geschmuggelt werden. Bücher, die selbst verlegt oder handgeschrieben sind. Sie sollen in einer Buchhandlung liegen und ein Dach über den Kopf bekommen, aber natürlich müssen sie letztlich ausgesondert werden.

Louise Erdrich erzählt solche wunderbaren Buchhandelsgeschichten und sie beschreibt die Folgen einer globalen Krise für ein winziges Biotop. Andererseits feiert sie die Kraft des gedruckten Wortes und diese für viele altmodischen, aber funktionierenden wichtigen Kraftzentren, zu denen unabhängige Buchhandlungen heute geworden sind.

Mich hat dieser Roman sehr an unser »Kraftzentrum« erinnert, in dem es zwar nicht spukt, aber gute Gespräche geführt, lesenswerte Bücher empfohlen werden und in dem jeder etwas für sich richtiges und wichtiges finden kann. Besuchen Sie uns also und helfen Sie mit, dass unser Biotop weiterhin gedeiht.
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