»"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen". Diese Sätze wurden mir im ersten Semester meines Germanistikstudiums in Erlangen von dem Dozenten vorgelesen. Denn wir begannen mit dem großen Aufklärer Lessing. In dieser Zeit strebte die Intelligenzia nach Emanzipation und löste sich aus der Umklammerung von weltlichen und klerikalen Mächten. Der Weg der Menschheit zu Freiheit und Frieden schien unaufhaltsam. Was ist von diesem Fortschrittsglauben im 21. Jahrhundert übrig geblieben? Naturbeherrschung und Technik zeigen ihre zerstörerische Seite, bleibt der Gedanke des vernunftbestimmten Handelns. Doch auch da spürt man wenig, wenn man betrachtet, was in unserer Welt vorgeht. Die Autorin Angela Steidele beschäftig sich in ihrem Buch ausführlich mit »Aufklärung«.

Sapere aude! - habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Der Roman von Angela Steidele hat sich diesem Geist des erhellenden Disputs voll und ganz verschrieben. Die Handlung ist in den ersten sechs Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts angesiedelt. Versammelt zum schöpferischen Ideenwettstreit sind im protestantischen Leipzig, Sachsens intellektueller Hochburg, die großen Leuchten der Aufklärung.

Steideles Protagonistin ist Dorothea Bach, eine Tochter des Thomaskantors und Komponisten Johann Sebastian Bach. Wie sie spricht, denkt und schreibt, das klingt allerdings oft ziemlich heutig. Aber das ist nur ein Indiz für die Feststellung: Der Roman »Aufklärung« ist sowohl ein Buch über die Kommunikation aufgeklärter Köpfe beiderlei Geschlechts in einem Jahrhundert des Aufbruchs aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“, wie es Kant nicht ganz unumstritten formulierte. Es ist auch ein Buch des Gesprächs mit dieser Epoche über fast drei Jahrhunderte hinweg. Vor allen Dingen ist es ein Buch aus dezidiert weiblicher Perspektive.«

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