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Brief­wechsel mit Jugend­freun­dinnen von Rahel Levin Varnhagen

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»Rahel Levin Varnhagen war eine außergewöhnliche Frau und eine schillernde Persönlichkeit im Berlin des späten 18. Jahrhunderts. Sie unterhielt den tonangebenden Salon für Philosophen und Dichter. Alle schätzten ihre Klugheit und Beredtheit. Sie wird noch immer als berühmte Briefeschreiberin gefeiert, die heutzutage sicher Influencerin wäre mit Tausenden von Followern. 1771 ist sie als älteste Tochter des jüdischen Bankiers Markus Levin geboren. Während ihre Brüder höhere Schulen besuchten und eine kaufmännische Ausbildung absolvierten, wurde Rahel von Hauslehrern unterrichtet und entwickelte sich zu einer hochgebildeten Frau. Im Kurbad Karlsbad begegnete sie 1795 erstmals Goethe, den sie verehrte. Er schrieb, sie sei „ein Mädchen von außerordentlichem Verstand“, „stark in jeder ihrer Empfindungen und dabei leicht in ihren Äußerungen“, „kurz, was ich eine schöne Seele nennen möchte“.

 

Varnhagen war eine überaus fleißige Schreiberin. Sie äußerte sich zu den Debatten ihrer Zeit, ohne Anspruch an ein eigenes Werk, ohne Anspruch darauf, eine Dichterin, Philosophin, Wissenschaftlerin zu sein. Ihre Ansichten und Gedanken finden wir sozusagen in der Konversation mit anderen. Ihr Talent war es, sich und andere ins Gespräch zu bringen im Rahmen ihres Salons – eine Möglichkeit, die ihr als Frau und Jüdin damals gesellschaftlich offen stand. Sie trat für die jüdische Emanzipation und die Emanzipation der Frauen ein. Hannah Arendt schreibt, sie sei ein zartes Kind in einer wenig zarten Umgebung. Als Jüdin stünde sie von Beginn an außerhalb und Arendt überschreibt das erste Kapitel ihrer Biografie mit dem Wort „Benachteiligtsein“. Das Benachteiligtsein bezieht sich auf Herkunft, Geschlecht und Stand. Varnhagen hadert ihr Leben lang mit diesen Benachteiligungen. 1814 erst empfängt sie die evangelische Taufe und heiratet den 14 Jahre jüngeren Karl August Varnhagen. Zu ihrem 250. Geburtstag hat der Wallstein Verlag den noch ausstehenden Briefwechsel mit Jugendfreundinnen publiziert. Mit 300 Korrespondenten hat sie Briefe gewechselt, die meisten sind bereits erschienen, doch dieser, den ich Ihnen empfehle, zum ersten Mal.

 

Die meisten ihrer Brieffreundinnen sind Jüdinnen, die ebenfalls konvertierten. Dreizehn unterschiedliche Stimmen vereint der Band, wobei die Frauen auch untereinander bekannt waren, wodurch sich beim Lesen hübsche Querverbindungen ergeben. Jüdinnen, Adlige, Künstlerinnen – und Freundinnen. In den Briefen spielt die jüdische Frage eine unbedeutende Rolle, obwohl Fragen der Assimilation das Leben der Frauen bestimmen und in ihre Liebesverhältnisse hineinspielen. Dennoch beschäftigen sie sich mehr mit ihrem alltäglichen Leben: Hochzeiten und Todesfälle, eheliche und außereheliche Schwangerschaften, Liebschaften, arrangierte Ehen und Ausbrüche aus diesen, Scheidungen und Seelenschmerzen. Dabei lesen sich die Briefe zuweilen nicht wie die von Freundinnen, sondern wie die von Geliebten, solch ein innerlicher Ton herrscht oft vor – es sind eben „romantische“ Briefe. Von kurzen Billetts bis zu seitenlangen Briefen reichen die Korrespondenzen. Besonders lebendig ist der Briefwechsel mit Fradchen Liepmann, spätere Friederike Liman, mit der sie eine lebenslange Freundschaft verbindet. Sie tauschen sich über ihre Lektüren aus, spicken ihre Briefe mit Anspielungen auf dieses oder jenes Werk, der wichtigste Gegenstand ist Goethe, der im gesamten Band einen Ehrenplatz erhält. Jede, die ihn spricht, erzählt das umgehend weiter und gibt damit an. Fradchen Lipman betont die Einzigartigkeit der Rahel Varnhagen. Gewiss, alle Menschen sind einzigartig und doch scheinen manche einzigartiger als andere. Auf Rahel Varnhagen trifft das zu. Ihre Briefe sind beliebt, sie werden herumgereicht und man liest seinen Freunden daraus vor, ergötzt sich daran. Am 4. Februar 1815 schreibt Rahel an sie aus Wien:

„Wann schreibt man seinen Freunden? Wenn man etwas von ihnen will. Wer sind unsere Freunde? Die klügsten Menschen, die da wißen was Freundschaft ist. Was ist Freundschaft? Das was sie seyn kann. Die Gabe, anderer Persönlichkeit zu durchschauen, die Tugend sie zu respektiren und anzuerkennen wie die eigene; das Glük eine gefunden zu haben, deren Wesen und bloßes Daseyn uns gefällig ist, in jeder Äußerung, im Gewähren wie im Versagen, und die wieder die Eigenschaften besitzt, und verbindet, unsere in Freyheit, d:h: in den Möglichkeiten die ihr entsprechen, ihr Daseyn zu entwiklen. Du erlaubst mir also Schweigen wenn es mir schwehr würde zu sprechen – mit Zunge oder Feder – du erlaubst mir einen kurzen Brief, der nur eben das sagt was ich im Augenblik wünsche, und von dir möchte!“

 

In den Briefen gibt es wunderbare Wortschöpfungen: „Ein andermal ein mehreres“, eine der herrlichen Abschiedsformeln. „Schreibe bald. Grüße alle“ lautet eine andere. Oder: „Viel Vergnügen, viel Gesundheit und baldiges Wiedersehnchen“. Auch verschwundene Worte bietet der Band: „fetzpöpel“ für Lumpen, „knackschählig“ für gebrechlich „maulfade“ und „ziemlichermaßen“ müssen nicht übersetzt werden. Der umfangreiche Anmerkungsapparat ist einzigartig und so aufregend wie die Briefe selbst. Besonders reizvoll: Vor jedem Briefwechsel gibt es ein Faksimile der jeweiligen Handschrift, ein Porträt, soweit vorhanden, und eine aufschlussreiche Kurzbiografie. Die oft sehr pointierten Anmerkungen von Karl August Varnhagen sind ebenfalls abgedruckt. So auch im Falle von Caroline von Humboldt, der Ehefrau von Wilhelm von Humboldt, die von einer engen Freundin zu einer losen Bekannten wurde. Wieso, das dürfen Sie selbst nachlesen.«

 

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Kategorie: Schlagwort:

Barbara Ter-Nedden

Barbara Ter-Nedden hat ihre Liebe zu den Büchern schon frühzeitig entdeckt. Während ihres Germanistik- und Romanistikstudiums wurde diese Vorliebe zur Leidenschaft.

Zusätzliche Information

Titel

Briefwechsel mit Jugendfreundinnen

Autor

Rahel Levin Varnhagen

ISBN

978-3-8353-3955-2

Bibliographische Angaben

Leinen-Hardcover, 1092 S., Wallstein Verlag

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